Als Gründungstag unserer Zementfabrik wird der 12. Juni 1856 angesehen. Mit diesem Tag erhielt der „Bonner Bergwerks- und Hüttenverein“ die Genehmigung zur Zementherstellung. Das Werk lag auf dem Gebiet der früheren Gemeinde Beuel. Es wurde postalisch und bahnmäßig aber von Oberkassel versorgt. Das Grundkapital der neu gegründeten Aktiengesellschaft sollte 1 Million Taler betragen. Die Gründungsaktien sind heute bei Sammlern sehr gefragt und gut bezahlt.
Wie kam es zur Wahl des Standortes Oberkassel? Zunächst wollte Dr. Hermann Bleibtreu, Begründer der Portlandzementindustrie in Deutschland, die Braunkohlenvorkommen auf der Hardt ausnutzen, wo die ursprüngliche Alaungewinnung und die Ziegelei bald eingestellt wurden. Auschlaggebend war die Lage am Rhein mit seinen guten Transportmöglichkeiten. Ihren Rohstoff erhielt die Zementfabrik aus Budenheim bei Mainz. In sechs Schachtöfen wurde der Zement gebrannt. – Am 31.12.1871 gab Dr. Hermann Bleibtreu die Geschäftsführung ab. Nachfolger waren die Direktoren Friedrich Schiffner und Adolf Hennike.
War der Konkurrenzkampf in den Anfangsjahren mit den englischen Zementherstellern durch deren Vormachtstellung schwierig, so war es Ende des 19. Jahrhunderts im Inland mit 20 neuen Zementwerken in Süd- und Westdeutschland. Einen ungeahnten Aufschwung nahm die Zementherstellung von 1899 bis 1932 aufgrund technischer Verbesserungen in Herstellung und Anwendung des Zements. Um das Transportproblem zu lösen wurden vom Werk Oberkassel sogar zwei Schleppkräne angeschafft. Seit 1902 war Dr. Bernhard Stürz Vorsitzender des Aufsichtsrates und Leiter der Fabrik. Ihm zur Seite stand als technischer Leiter der spätere Gene-raldirektor Walther Gottschalck, der Großvater unserer Referentin.
Nach vergeblichen Versuchen des Wicking-Konzems, die Oberkasseler Zementfabrik zu übernehmen, kam es zu einem Freundschaftsvertrag, später zu einer Fusionierung mit der Firma Dyckerhoff & Söhne, die bereits über eine Sperrminorität von 25% verfügte.
Im Dritten Reich wurden alle westdeutschen Zementwerke zusammengeschlossen. Das Werk in Oberkassel wurde umbenannt in „Bonner Portland-Zementwerk Aktien-Gesellschaft“. 1934 wurden Dr. Kurt Ehrke und Wilhelm Jahr zu Vorstandsmitgliedern ernannt, nachdem am 06.12.32 der Generaldirektor Walther Gottschalck verstorben war. Ab 1933 nahm der Zementverkauf immer mehr zu, begünstigt durch Autobahnbau, Industriebauten und Rüstungsaufgaben (z. B Westwall).
Den Zweiten Weltkrieg überstand das Werk verhältnismäßig gut. Für Dr. Ehrke übernahm Hans von Lom die Führung des Zementwerkes bis dann 1947 Dr. Rudolf Wortmann in den Vorstand berufen wurde. Die Militärregierung hatte bereits 1946 die Genehmigung zur Zementherstellung erteilt. Jedoch brachte die Nachkriegszeit allerlei Schwierigkeiten mit sich. Erst nach der Währungsreform 1948 war es möglich, wieder eine ausgeglichene Betriebsstruktur zu erreichen. Das Zementwerk beschäftigte 1964 430 Menschen, die überwiegend aus dem Oberkasseler Umland und den Beueler Vororten kamen. Gegenüber der Bevölkerung und den Vereinen zeigte sich das Zementwerk stets hilfsbereit.
Ende des Jahres 1987 zwangen die wirtschaftlichen Verhältnisse die Dykerhoff AG, den Betrieb einzustellen. 1988 wurden die Abbrucharbeiten begonnen. Alles fiel der Spitzhacke zum Opfer bis auf das Verwaltungsgebäude, die Direktorenvilla, die Rohmühle und den Wasserturm. Die genannten Gebäude wurden unter Denkmalschutz gestellt. Zur weiteren Nutzung des großen Fabrikgeländes wurden viele Pläne erarbeitet. Zur Zeit sieht man bei einem Besuch, daß sich in großen Glaskästen viele Firmen niedergelassen haben, darunter z. B. die GWI (Gesellschaft für Wirtschaftsforschung und Informatik). In der Rohmühle befindet sich ein Restaurant mit Cafe und Bar mit Blick auf das „Hermann Bleibtreu-Ufer“ über der ehemaligen Kaianlage. Lediglich der frühere Wasserturm hat noch keine neue Verwendung gefunden.
Eine gute Übersicht über die Geschichte des Zementwerkes geben die Jubiläumsschriften zum 50. und 100. Geburtstag, die beim Heimatverein Oberkassel eingesehen werden können.
Abb. 1: Die Zementfabrik vom anderen Rheinufer aus gesehen; vermutlich ca. 30er Jahre. Rohmühle, Direktoren-Villa und Wasserturm sind deutlich zu erkennen.
Abb. 2: Panorama von Oberkassel ca. Mitte der 60er Jahre (Ausschnitt) – sehr gut erkennbar die Zementfabrik, im Vordergrund das Kalkuhl-Gymnasium.
Abb. 3: Die Oberkasseler Rheinpromenade – viele Jahre lang bis in die 80er Jahre geprägt von der Zementfabrik. Heute als »Rheinwerk« oder »Bonner Bogen« prominenter Standort exklusiver Gastronomie, eines Luxus-Hotels und namhafter Firmen.
Abb. 4: Die Gebäude im Jahre 1987, dem Jahr der Schließung. Der Abriss erfolgte 1988. Heute findet man am Bonner Bogen in den verbliebenen und neu errichteten Gebäuden eine Reihe namhafter Firmen, gastronomische Betriebe sowie das Kameha Hotel. Die Zahl der Arbeitsplätze hat sich so vervielfacht …